Kennen Sie das? Sie sitzen in einem Meeting. Eine Teilnehmerin präsentiert gerade etwas und ein Kollege kommt zu spät. Möglichst unauffällig und mit einer knappen Entschuldigung drückt sich der Zuspätkommer auf einen Stuhl, während die Rednerin einfach weiterredet. Alle versuchen die Störung möglichst klein zu halten … und ignorieren, dass mindestens 50 % der Aufmerksamkeit nicht mehr bei dem Vortrag ist, sondern bei der Störung. Ja, Zuspätkommen stört. Das wissen wir alle. Das weiß auch der Zuspätkommende.
Eine kurze Unterbrechung hilft
Als Moderation habe ich es mir angewöhnt in diesem Moment kurz zu unterbrechen, den Zuspätkommenden freundlich zu begrüßen, ihm in ein bis zwei Sätzen ein Update zu geben, bei welchem Thema wir gerade sind, um dann der Rednerin das Wort zurückzugeben. Sie fragen sich warum? Ich sehe zwei gute Gründe: Erstens, die Rednerin in diesem Beispiel hat es verdient, dass ihr zugehört wird. Jede Störung zieht Aufmerksamkeit der Teilnehmenden ab. Also gilt es, die Störung zu beseitigen. Jemanden freundlich zu begrüßen und ihm ein Update zu geben, ist meist die schnellste Möglichkeit, denn sonst muss er sich selbst z.B. durch Nebengespräche, darüber informieren oder stellt Fragen, die schon längst beantwortet sind. Ignorierte Störungen erzeugen „Folgestörungen“.
Der zweite Punkt ist mir aber noch wichtiger: Es hat etwas mit der Grundannahme zu tun, dass dieser Mensch sicher einen guten Grund hatte, nicht pünktlich zu sein: Ein Kunde hatte eine wichtige Anfrage, ein Verkehrsunfall auf der Autobahn, die Kinder haben heute irgendwie durchgedreht … Menschen kommen selten absichtlich zu spät. Ihnen zu signalisieren, dass man sich freut, dass sie es jetzt geschafft haben, hat für mich etwas mit Wertschätzung zu tun. „Entschuldigen Sie Frau Rhode. Herr Klaussen, schön, dass Sie da sind. Nehmen Sie doch Platz. Wir hören uns gerade den Geschäftsbericht von Frau Rhode an und werden Fragen im Anschluss gemeinsam besprechen“. Dieser Satz kostet wieviel? 30 Sekunden? Es spart dem Zuspätkommenden nicht nur mindestens fünf Minuten Verwirrung, sondern oft auch ein ungutes Gefühl.
Störungen nehmen sich Vorrang
Der Grundsatz, der dahintersteckt, kommt eigentlich aus der Themenzentrierten Interaktion (TZI) und lautet „Störungen haben Vorrang“. Mit „Störung“ ist alles gemeint, was den geplanten Ablauf einer behindert. Störungen können vielfältig sein, z. B. Lärm von außen, technische Probleme, Unaufmerksamkeit der Teilnehmenden, Widerstand gegen die verwendete Methode. Auch schwelende Konflikte innerhalb der Gruppe oder von Teilnehmenden mit der Moderation können Störungen darstellen. Die TZI geht davon aus, dass eine wirklich produktive Zusammenarbeit nur dann möglich ist, wenn Störungen ausreichend bearbeitet, im Idealfall beseitigt wurden. Störungen „nehmen“ sich also ohnehin den Vorrang und damit einen Teil der Aufmerksamkeit der Teilnehmenden. In den meisten Fällen ist es eine große Erleichterung für alle Anwesenden, wenn die Moderation es in die Hand nimmt. Wenn sich kein Weg finden lässt, der in angemessener Zeit eine Lösung verspricht (z. B. bei Baulärm), dann empfehle ich die Störung dennoch kurz anzusprechen und zu verkünden, dass man eben damit leben müsse.